Vor etwas mehr als zehn Jahren erhielt Harald zur Hausen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für eine revolutionäre Erkenntnis: Humane Papillomaviren (HPV) können bei einer dauerhaften Infektion Gebärmutterhalskrebs auslösen. 2014 lagen die Neuerkrankungen von Gebärmutterhalskrebs in Deutschland bei 4540 Frauen und 1506 Frauen in Deutschland starben an einem Zervixkarzinom. Es ist damit die zweithäufigste Krebsart bei Frauen.
Sind Viren für Darmkrebs verantwortlich?
Der ehemalige Chef des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg Harald zur Hausen legte kürzlich seine Indizien einer Vireninfektion als möglicher Auslöser von Darm-, Prostata- und Brustkrebs auf einer Pressekonferenz vor. Diese Indizien sollen belegen, dass sogenannte Bovine Meat and Milk Faktors (BMMFs), das sind kleine ringförmige DNA-Strukturen die durch den Verzehr von Milch und Fleisch auf den Menschen übertragen werden, für mindestens jeden zehnten deutschen Krebsfall verantwortlich sind.
Bislang hatte man verschiedene Faktoren für das Risiko von Dickdarmkrebs im Visier, vor allem gegrilltes und geräuchertes Fleisch. Viele Daten sprechen dafür, dass ein Verzehr dieser Produkte das Darmkrebsrisiko erhöhen. Es wird vermutet, dass während der Zubereitung Schadstoffe gebildet werden, die gefährliche Mutationen in den Darmwandzellen auslösen können. Zur Hausen erkennt aber noch ganz andere Muster. Mindestens ein Jahr lang, Tag für Tag, hat er damit zugebracht auf den Websites von mongolischen Behörden zu surfen oder indische Gesundheitsdaten auszuwerten. Die Ergebnisse des Nobelpreisträgers scheinen nicht zur gängigen Lehrmeinung zu passen. Der Konsum von gegrilltem Hühnchen oder Fisch scheint sich nicht aufs Tumorrisiko auszuwirken, obwohl auch hier ähnliche Schadstoffe gebildet werden. Die Mongolische Bevölkerung beispielsweise liebt Barbecue und hat trotzdem eine rekordverdächtig niedrige Darmkrebsrate. Die Menschen in Indien bleiben ebenso auffallend oft von diesem Tumor verschont. Die Überschneidung: beide Bevölkerungsgruppen konsumieren kaum bis gar kein Rindfleisch. Die Mongolen bevorzugen lieber Ziege, Schaf oder Yak und in Indien leben viele Menschen hauptsächlich vegetarisch. Für zur Hausen ist das ein Hinweis darauf, dass nicht das Fleisch generell das Problem sei, sondern ein Faktor den nur Rinder in sich tragen, der dann über den Konsum von Fleisch und wahrscheinlich auch Milch, auf den Menschen übertragen wird.
Weder Virus noch Bakterium
Schon 2001 spekulierte zur Hausen über eine weitere Virenart, die im Menschen Krebs auslösen können, nachdem die Suche nach weiteren HP-Viren in Tumoren erfolglos geblieben war. Auf die Idee kam der Forscher durch die Beobachtung, dass eigentlich harmlose menschliche Viren bei Affen und Nagern Tumore auslösen können. Er nahm zusammen mit seiner Frau den Zwergvirus TTV ins Visier, konnte aber keine krebserzeugende Wirkung nachweisen. Aber: die DNA-Kringel, die er in Milch und Fleisch aufgespürt hat, weisen Ähnlichkeiten zu den TT-Viren auf. Gleichzeitig ist ihr Erbgut eng verwandt mit sogenannten Acinetobakter-Bakterien, eine Gattung dessen Arten häufig resistent gegen Penicillin und Chloramphenicol (zwei Antibiotika) sind. Die gefundenen Bovine Meat and Milk Factors sind also weder Viren noch Bakterien. Zur Hausen geht aktuell von einem ganz neuen Erregertyp aus. Sein Forscherteam testete ob die DNA dieser Erreger von menschlichen Zellen gelesen wird. Das war der Fall und es wurde dadurch ein bestimmtes Protein von den Zellen produziert. Nach diesem Protein wurde dann in Tumorzellen von Darm- und Brustkrebspatientinnen gesucht – ohne Erfolg. Trotzdem konnten er und sein Team solche unabhängigen DNA-Erbgut-Ringe, genannt Plasmidome, in der Umgebung von Darmkrebszellen nachweisen, allerdings nicht im Inneren. Das Team vermutet, dass die Plasmidome sich im Bindegewebe vermehren und dort Entzündungen auslösen. Die Abwehrzellen reagieren darauf aggressiv, was indirekt zu gefährlichen Darmwand-Mutationen führt und die schlussendlich zu Krebs.
Noch gibt es dafür keine aussagekräftigen Beweise
Die Beweislage bleibt aktuell noch dünn. Und der Gegenwind ist groß. Zur Hausen ist das aber gewohnt. Seine These zu HP-Viren war 1975 ebenfalls gewagt und heftigst umstritten. Doch die Gegenstimmen halten sich heute großteils zurück und verweisen lediglich auf fehlende Daten, denn er hatte ja schon einmal Recht behalten. Die kausalen Zusammenhänge fehlen und es ist auch noch nicht geklärt, ob die Krebsgeschwüre die Entzündungen auslösen und andere Erreger anlocken oder umgekehrt, so wie zur Hausen vermutet. Und warum kommen die Plasmidome nur in den europäischen Milchrindern vor und nicht in Zebus oder Yaks? Das gilt es in den nächsten Jahren zu erforschen.
Infektion führt nicht zwangsweise zum Krebs
Bevor nun aber Panik ausbricht: eine Krebserkrankung benötigt mehr Risikofaktoren als allein die Infektion mit Krebsviren. Sie bilden lediglich die notwendigen Voraussetzung für eine Erkrankung. Bei HPV zum Beispiel entwickelt sich selbst aus Hochrisikoerregerstämmen nur bei etwa einem Prozent tatsächlich Gebärmutterhalskrebs. Außerdem sind wir in der Regel alle längst mit dem Erreger infiziert und haben wahrscheinlich Antikörper dagegen ausgebildet, die zusätzliche Infektionen mit diesen Erregern neutralisieren, so zur Hausen. Es wurden nämlich in der Tat Antikörper gegen BMMF im Blut von Patienten mit Krebs und Multipler Sklerose gefunden. Zur Hausen empfiehlt außerdem langes Stillen von Babys als Schutz für Kind und Mutter. Muttermilch enthält nämlich keine BMMFs dafür aber schützende Zuckerarten, welche die Bindung von Erregern an Zellen und damit Entzündungen verhindern. Mütter, die mehrere Kinder bekommen haben, haben ein geringeres Risiko an Brustkrebs zu erkranken, wahrscheinlich genau wegen dieser Zuckerarten.
Zur Hausen sieht mehrere Wege um die Krebserkrankungen durch BMMFs künftig mehr zu verhindern. Säuglingen könnten die in Muttermilch enthaltene Zuckerarten nach dem Abstillen weiterhin in Babynahrung erhalten. Oder man entwickelt eine Impfung für Rinder, so dass diese keine BMMFs mehr bilden. Das bleibt aber Zukunftsdenken bis zur Hausens Theorie mit Daten untermauert wird.
Krebs bleibt ein komplexes Thema und eine Krebserkrankung hat viele nicht vorhersehbare Auslöser. Prävention kann trotzdem betrieben werden: weniger Fleisch und Milch tut nicht nur der Gesundheit, sondern auch dem Klima gut. Pflanzen haben vielfach bewiesen entzündungshemmende Eigenschaften und wirken antioxidativ. Sport, wenig Alkohol, nicht Rauchen und eine positive Lebenseinstellung tun dann ihr übriges. Diese Faktoren haben wir selbst in der Hand und es lohnt sich darauf ein Auge zu haben.