Warum wir eine gemeinsame EU-Ernährungspolitik brauchen

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Europaweit stehen wir vor großen Herausforderungen. Klima-, Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft gepaart mit dem kontinuierlichen Höfesterben sind entscheidende Themen, die aber leider in der europäischen Agrarpolitik nicht besprochen werden. Dabei hätte die EU großen Einfluss darauf: gut 40 Prozent des EU-Haushaltes gehen in die Agrarsubventionen, alleine in Deutschland stammen 40 Prozent der Einkommen der Landwirte aus diesem Geldfluss. Eigentlich wäre hier ein effektiver Steuerhebel, der leider nicht bedient wird.

Ein Bericht mit Potential

Das möchte das „International Panel of Experts on Sustainable Food“ (IPES-Food) ändern. Zusammen mit über 400 Landwirten, Lebensmittelunternehmern, Wissenschaftler und politischen Entscheidungsträgern haben sie einen Bericht veröffentlicht, der auf drei Jahren Forschung unter Einbezug von Experten und Akteuren aus ganz Europa fußt, und in Brüssel zur Diskussion vorgelegt. Es ist ein Entwurf für eine gemeinsame Europäische Ernährungspolitik. Die Experten sehen darin vier wesentliche Gründe, warum eine gemeinsame Ernährungspolitik in Europa notwendig ist.

Zu viele Widersprüche in der aktuellen Politik

Verschiedene Politikbereiche haben diverse Auswirkungen auf unsere Ernährung. Landwirtschaft, Handel, Lebensmittelsicherheit, Steuer- und Sozialpolitik, Marktregulierung und der Wettbewerb haben neben noch vielen anderen politischen Bereichen einen Einfluss darauf, wie wir uns ernähren, wer unsere Lebensmittel produziert und wie sie gehandelt werden. Oft widersprechen sich die Interessen in wesentlichen Punkten: einerseits investiert man in Strategien gegen die steigende Fettleibigkeit, andererseits wird „Junk-Food“ überall günstig und im Überfluss zur Verfügung gestellt. Die EU hat sich im Pariser Abkommen zu Umweltschutz gegen den Klimawandel verpflichtet und ermöglicht dennoch durch neue Handelsabkommen verstärkte Exporte von Fleisch- und Milchindustrie. Gerade hier werden am meisten klimaschädliche Gase produziert. Die Experten sehen Bedarf darin diese Widersprüche in Einklang zu bringen, wobei die Prioritäten nicht auf Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit liegen, sondern auf Nachhaltigkeit und öffentlicher Gesundheit. Die aktuellen Kosten durch häufig ernährungsbedingte Krankheiten und durch Lebensmittelverschwendung, sowie die Verschwendung von Ressourcen belasten die Haushaltskassen und die Umwelt massiv. Ihre Vors chläge würden den Menschen und dem Planeten erhebliche Vorteile bringen und sich letztendlich auszahlen.

Nachhaltigkeit muss subventioniert werden

Schon heute entstehen soziale Innovationen auf lokaler Ebene die gemeinschaftliche landwirtschaftliche Projekte angehen. Diese Initiativen legen Wert auf Nachhaltigkeit und sind sehr vielversprechend, dass sie das Vertrauen in die Lebensmittelproduktion wiederherstellen. Noch werden solche Projekte schlecht oder gar nicht von der EU oder nationaler Politik gefördert, während Landwirte durch standardisierte Subventionen unterstützt werden. Die Experten fordern deshalb eine Unterstützung lokaler Initiativen auf nationaler und lokaler Ebene.

Langfristig denken statt kurzfristig gewinnorientiert

Die derzeitige Politik geht einfach zu langsam gegen den Klimawandel vor. Eigentlich müsste die EU-Landwirtschaft bis 2030 klimaneutral sein, um einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit der Verlust der Artenvielfalt, der weltweite Hunger und die globale Armut eingedämmt werden können. Die Lebensmittelsysteme aber bleiben weiterhin auf das Bereitstellen von billigen Kalorien durch Massenproduktion ausgelegt, obwohl dieses „Low-cost“-Modell immer kostspieligere Auswirkungen hervorruft (Umweltzerstörung, Fettleibigkeit usw.). Der Status quo von politischen Entscheidungen sind zu kurzfristig gedacht, daher fordern die Experten eine integrierte Politik mit einer langfristigen Vision, einschließlich einer gemeinsamen Lebensmittelpolitik, die kurz- und langfristige Ziele klar von einander unterscheidet, Kompensationen abwägt und langfristige Kosten und Vorteile erfasst. So kann Verantwortlichkeit zugewiesen werden und die Wirksamkeit der Reformen regelmäßig bewertet werden.

Mehr Demokratie bei EU weiten Entscheidungen

Zusätzlich ist die Zivilgesellschaft nicht maßgeblich an den Entscheidungen in der Lebensmittelpolitik beteiligt. Dominierende Akteure sorgen durch ihre Macht in bestimmten Zuständigkeitsbereichen dafür, dass EU-Maßnahmen hinausgezögert werden und Entscheidungen auf kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen getätigt werden, während die öffentlichen Bedenken und Reaktionen beiseite geschoben werden (siehe TTIP und CETA). Auch andere Reformen werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne dass die Bürger die Möglichkeit haben sich zu beteiligen. Die Experten fordern hier mehr Transparenz, Partizipation und reelle Möglichkeiten um das Demokratiedefizit im Lebensmittelsystem auszugleichen und die Machtverhältnisse wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Insbesondere sollen starken Bündnissen die das gegenwärtige Low-cost-Modell ablehnen, ein Weg geebnet werden für die Erzeugung von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln.

Konkrete Maßnahmen und Ziele

Der IPES-Bericht schlägt kurzfristige Maßnahmen auf EU-Ebene vor, sowie fünf große inhaltliche Ziele mit konkreten Maßnahmen diese zu erreichen. Wer den ganzen Bericht lesen möchte, kann das hier tun.

Das alles klingt fast zu schön um wahr zu sein. Hier sind sinnvolle, konkrete Vorschläge und Maßnahmen aufgelistet, die jedem aus dem Herzen sprechen der sich mit Umwelt und Lebensmittelproduktion beschäftigt. Wir wissen alle, dass unser aktuelles Lebensmittelsystem nicht mehr haltbar ist, wenn wir unseren Kindern eine bewohnbare Welt hinterlassen wollen. Ich hoffe inständigst, dass sie die Kommission in Brüssel diesen Bericht ernst nimmt und eins zu eins umsetzt.

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